Eine Geschichte, wie auf Wikipedia

"QualityLand" hat eine gute Dramaturgie, die Inhalte sind aber sehr schachbrettartig gezeichnet.
"QualityLand" hat eine gute Dramaturgie, die Inhalte sind aber sehr schachbrettartig gezeichnet. - Foto: stroisch.eu/Canva.com

In einer smart-technologisch durchoptimierten Zukunftsgesellschaft wird „Peters Problem“ plötzlich zum Synonym dafür, dass ein Algorithmus nicht allwissend ist. Im Roman „Qualityland“ versucht sich Autor Marc-Uwe Kling an einer dystopischen Gesellschaftskritik und liefert am Ende doch ein Konsumprodukt: ein wirklich gut zu lesendes, aber dennoch nicht tiefgründiges Buch.

Diesen Blogbeitrag verfasse ich, weil ich am Mediensommer des DGB-Bildungswerks in Hattingen teilgenommen habe. Ich habe dieses Jahr bereits zum fünften Mal teilgenommen und finde das Angebot dort fantastisch. Besonders gut gefällt mir, dass hier keine Journalisten sind (so, ich ja einer bin ;-), sondern die Teilnehmer sich wirklich quer aus der oft gewerkschaftlich orientierten Szene rekrutieren. Vom Zusteller bei Hermes bis hin zum Gesamtbetriebsratsvorsitzenden eines großen Unternehmens. Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Seminars „Was wäre wenn? Wie Überwachung die Demokratie gefährdet“.

Und natürlich ist sie Diskussion über die Macht der Big5, dass, was Daten für unsere Gesellschaft und Demokratie bedeuten, sehr wichtig. Das Postulat der „Qualität“, die auch auch durch agile Arbeitsweisen gestärkt werden soll, auf die Spitze getrieben, ist vielleicht die dystopische Geschichte vom „Qualityland“. Deshalb passt dieses Thema auch gut in meinen Blog!

Was wäre, wenn große Webkonzerne jegliches Verhalten ihrer Nutzer vorhersagen könnten? Was wäre, wenn auch das demokratische System sich diesen Konsumprognosen unterworfen hätte? Was wäre, wenn das erste Mal ein Androide zur Wahl des (lebenslangen) Präsidentenamtes dieses Landes, von „Qualityland“, antreten würde?

Qualityland als Name eines dystopischen Nationalstaates

In Qualityland wurde praktischerweise der ursprüngliche Name des Nationalstaates aufgeben. In Qualityland ist der Nachname eines jeden Bürgers der Einfachheit nach die Berufsbezeichnung seines Vaters oder ihrer Mutter. Das führt dann dazu, dass es einen Peter Arbeitslos gibt, eine Sandra Admin, eine Melissa Sexarbeiterin oder einen Henryk Ingenieur. Und in Qualityland werden zudem die Mitbürger einfach in bestimmte Level einsortiert, die ihnen dann mehr Rechte – zum Beispiel die Änderung ihres Vornamens oder die Grün-Schaltung einer Ampel – einräumen. Alles unter 10 ist dabei qua Definition nutzlos. Und es scheint jeder mit jeder Situation zufrieden, denn jeder erhält entsprechend seines Levels und entsprechend seiner Einstellung, die hyperintelligente Algorithmen errechnen, ohnehin nur die Infos, die er oder sie lesen will. Und in dieser Situation bekommt Peter Arbeitsloser einen rosafarbenen Delfinvibrator gesendet, den er nicht wieder loswerden kann. Und John of Us, der Androide, stellt sich zur Wahl um das Präsidentenamt, denn das Ableben der zuvor lebenslang gewählten Präsidentin steht bevor.

Strukturell ist das Buch gut aufgebaut. Zwei getrennte Handlungsstränge – die von Peter Arbeitslos und die von John of Us, dem androiden Präsidentschaftskandidaten – werden parallel erzählt und verbinden sich dann am Ende des Buches zum großen Show-Down. Und das ist wirklich auch die Stärke des Buches. Die Gesamtdramaturgie ist sehr gut. Und deshalb kann man es auch sehr gut und schnell durchlesen. Auch die „Mikrodramaturgie“ funktioniert gut. Der Wechsel zwischen den beiden Strängen, auch die dialogistische Herangehensweise verleiht dem Buch Schwung und Dynamik.

Meine These ist, dass ein Buch dann erfolgreich sein kann, wenn einer der drei Aspekte Inhalt, Stil und Struktur gut sind, besser wäre natürlich, wenn alle drei Aspekte gut sind. Und das ist genau das Problem des Buches.

Qualityland-Figuren sind verstörend schachbrettartig gezeichnet

Die Figuren sind geradezu verstörend schachbrettartig gezeichnet. Natürlich ist der reichste Mann der Welt ein fetter, notgeiler, einfach ekeliger Mann. Und natürlich ist die Aktivistin Kika eine flotte Afroamerikanerin mit einem Hang für Looser, weshalb auch Peter Arbeitslos, der Hauptprotagonist, in ihr Beuteschema fällt. Der natürlich nur mäßig attraktiv und intelligent ist. Die Mühe, in das Innenleben seiner Protagonisten einzutauchen, nach dem Warum zu fragen, macht Kling sich nicht. So sind die Protagonisten einfach eine Ansammlung von Klischeecharaktere. Auch dadurch bedingt bleiben die Figuren seltsam oberflächlich und es entsteht eben nicht Kino im Kopf.

Das gemeine Volk, die Masse, übrigens taucht nur in Form von debilen Kommentaren auf, die, wieder, witzig zu lesen sind, aber eben auch nicht mehr. Offensichtlich ist das Selbstbild von Herrn Kling, dass alle außer er debile Hornochsen sind.

Dem wird er aber nicht gerecht. Denn inhaltlich sind seine Ausführung über das Web und die Welt, nicht mehr als die Aneinanderreihung von Kurzweisheiten, die nicht mehr Tiefe erlangen, als die Teaser auf Google News. Und die irgendwie aus Wikipedia abgeschrieben wirken, was sich auch durch den Stil insbesondere am Anfang der Kapitel, die eine seltsam nachrichtliche Sprache haben, verstärkt. Wobei der Stil natürlich auch Geschmackssache ist und Trends folgt.

Als Beispiel:

„Eine Superintelligenz entstünde. Eine Intelligenz weit jenseits unserer bescheidenen Vorstellungskraft. […] Generell gibt es drei Möglichkeiten: Die Superintelligenz könnte uns wohlgesonnen sein, in diversen Abstufungen, sie könnte uns feindlich gegenüberstehen, wieder in diversen Abstufungen, oder aber wir wären ihr gleichgültig. […] Kennst du die Asimov’schen Gesetze?“

Diese Belehrungen haut der „Alte“, natürlich ein verrückter, weißhaariger Wissenschaftler, Peter Arbeitsloser im Kapitel „Hackfleisch“ um die Ohren. Und ehrlich gesagt bringt dieses Kapitel nicht viel mehr Erkenntnis als der Wikipedia-Beitrag über die Asimov’schen Gesetze (https://de.wikipedia.org/wiki/Robotergesetze). Zwar versucht sich Kling hier wieder an einem aufklärerischen Beitrag über Superintelligenzen und Robotik. Am Ende wird es aber durch die Art und Weise dieser „schnell geschnittenen“ Szene sogar regelrecht ins Lächerliche gezogen. Es bleibt belanglos, wodurch es leider überhaupt nicht zur Reflexion einlädt, sondern allenfalls zum Konsum.

Es gibt noch ein paar Erkenntnisse, bei denen ich aber bezweifel, dass sie der Autor im Sinn hatte, als er das Buch verfasste. Zum einen werden die ständigen Werbeeinblendungen der Firmen und Länder überlesen. Von keinem einzigen Produkt oder Land kann ich sie selbst nach einem Tag noch wieder geben. Leider gilt das aber auch für die technischen und sozialen Ausführungen des Autors.

Und – witzigerweise – demonstriert das Buch auch, wie Werbung nach hinten losgehen kann. Denn es enthält die echt ein bisschen dreiste Eigenwerbung für die Känguruh-Chroniken des Autors, die in Form des QualityPad Pink gemacht werden. Selbst die Protagonisten nervt dessen Geschwafel nach einiger Zeit so sehr, und drehen es immer wieder um. Ich gebe zu, dass mich persönlich dieses Werk von Kling wirklich überhaupt nicht anspricht, sodass ich mich hier sehr in meinem Gefühl bestätigt fühle. So wird die Eigenwerbung zum Bumerang.

Fazit: Ich bin wirklich hin- und hergerissen: Einerseits habe ich den Roman „Qualityland“ innerhalb von drei Tagen komplett weggelesen. Und das ist ein gutes Zeichen: Es hat mich auf eine bestimmte Art und Weise gefesselt, mich interessiert.

Auf der anderen Seite bietet es nicht mehr Tiefe als der Inhalt eines Wikipedia-Artikels. Alle interessanten Aspekte und auch Anspielungen werden aneinandergereiht wie Lexikabeiträge. Zum Beispiel: Natürlich gibt es den Netzwerkeffekt, aber wie genau er sich auf das Leben der Menschen tatsächlich auswirkt, wie er entsteht, wie er auch wieder zerfällt – oder gar dem entgegenlaufende Philosophien (so hat ja Amazon-Chef Jeff Bezos selbst schon mehrfach betont, dass er nicht glaubt, dass es Amazon allzu lange geben wird), darauf wird nur schablonenartig eingegangen, ja so schablonenartig gar, dass spätestens zwei Wochen nach der Lektüre jeder dieses Thema oder auch andere interessante – aber immer nur angerissene – Themen garantiert wieder vergessen hat. So kommt das Buch zwar als Gesellschafts- und Konsumkritik daher, malt auch Helden. Aber das Buch kritisiert zwar den Konsum, ist aber selbst ein Konsumprodukt par excellence.

So es ist eben kein wirklich dystopisches oder gesellschaftskritisches Werk, sondern letztendlich das Werk eines Mitläufers, der großen Masse (die in dem Buch nur durch Webkommentare zu Wort kommt). Ein bisschen so, wie Mario Barth für Literatur. Irgendwie ist es ja lustig und nett, aber es ist auch gut, dass man es nach zwei Minuten wieder vergessen hat.

Deshalb meine „eindeutige“ Empfehlung: Kaufen und lesen, denn es lässt sich wegen der Dramaturgie schnell und gut lesen, es ist unterhaltsam! Aber bitte nicht erwarten, dass in 14 Tagen noch irgendetwas davon hängengeblieben ist.

Infos zum Buch:

Marc-Uwe Kling: „Qualityland“, Ullstein Hardcover; 7. Edition (8. August 2021), 384 Seiten, ISBN-13: ‎ 978-3550050152

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