#6 – Business Modeling in der Diskussion

Das Business Model Canvas von Osterwalder ist Thema dieser Session des Bootcamps Product Owner.
Das Business Model Canvas von Osterwalder ist Thema dieser Session des Bootcamps Product Owner. - Foto: canva.com/stroisch.eu

Wie gestaltet man (lean) ein eigenes Business? Dazu gibt es seit einigen Jahren einen Ansatz: das Business Modeling. Im Rahmen des Digitale-Leute-Bootcamps gab es dazu ein paar interessante Ideen.

Auftakt: Dies ist ein Blog-Beitrag zum Modul “Product Strategy & Discovery” des Bootcamp Product Owner der Digitale Leute School. Am Mittwoch, 4. Oktober 2023, haben wir uns hier mit dem Business Modeling beschäftigt. Referent ist Jens Echterling. Leider konnte ich an diesem Modul nicht persönlich teilnehmen; deshalb bezieht sich dieser Beitrag auf die Aufzeichnung.

Für die Produktentwicklung ist das Geschäftsmodell der konkrete Kontext. Jens sieht darin zwei Funktionen:

  • Das Geschäftsmodell ist eine Bewertungsgrundlage
  • Es dient auch dazu, Veränderungen zu bewerten

Er unterscheidet dabei in seinem Vortrag zwischen einem qualitativen und einem quantitativen Business Model.

Das qualitative Business Model

Zunächst: Referenzpunkt von Jens ist das Business Model Canvas von Alexander Osterwalder, welches er zum Beispiel in seinem Buch “Business Model Generation” thematisiert. Es gibt diverse Adaptionen davon, eine der bekanntesten ist das Lean Canvas von Ash Maurya. Beide Autoren wurden schon und werden sicherlich noch einige Male auch in anderen Seminarsession zitiert. Jens bezieht sich auf das Business Model Canvas von Osterwalder (hier gibt es dazu den offiziellen Download). Dieses ist in viele Felder unterteilt, die wiederum unterschiedliche Funktionen beschreiben:

  • Wertversprechen
  • Go-to-market
  • Operating Model
  • Ökonomisches Model

Ich kürze hier nun die Erklärung der einzelnen Felder; das gelingt über die offiziellen Seiten und auch über das Buch ebenso gut. Vielleicht nur soviel: Es ergeben sich aus dem Canvas klare Fragen, die beantwortet werden müssen. Und Jens bezeichnet das Canvas – völlig zu recht – als ein Denkmodell, “mental model” – es stößt einfach Impulse an, hat aber letztendlich nicht den Anspruch einer empirischen Wahrhaftigkeit.

Immer wieder interessant finde ich, welche Tools die Referenten beim Bootcamp selbst benutzen. Und bei der Fokussierung auf das Wertversprechen – denn das ist ja letztendlich das, was wir immer wieder in den Sessions in den Vordergrund rücken, greift Jens auf das Value Proposition Canvas zurück. Unabhängig davon, dass es ein sehr interessantes Tool ist, finde ich das auch aus einem anderen Grund interessant: Natürlich ist das Business Model Canvas zwar selbst ein Tool. Um es aber sinnig zu befüllen, muss man tiefer graben – und dabei helfen für jedes einzelne Feld darauf weitere Tools. Im Falle des Wertversprechens eben zum Beispiel das Value Proposition Canvas. Grob zusammengefasst teilt sich dieses in ein Wertversprechen und in Kundensegmente oder -profile auf:

  • Wertversprechen sind Nutzenstifter (Gain Generators), Schmerzlinderer (Pain Reliervers) und die Produkte und Dienstleistungen.
  • Kundensegmente sind geprägt vom Nutzen (Gains), von Schmerzpunkten (Pains) und von Kundenaufgaben – hier als Jobs-to-Be-Done bezeichnet.

Und auch hier ist schnell klar: Um alle diese einzelnen Bereiche zu erfassen, sind wiederum weitere Tools notwendig und vor allem: der direkte Kontakt mit dem Kunden, etwa über Interviews, Beobachtungen oder – wie es Jens selbst in seinem beruflichen Zusammenhang ausprobiert hat – Tagebuchanalysen. Im Prinzip das komplette Spektrum qualitiativer Sozialforschung.

Am Ende steht dann ein Satz nach dem Schema

“Für [Zielgruppe], der [Problem Statement, Bedürfnis], liefert unser Produkt [Lösung], mit dem Versprechen, dass [Unfairer Vorteil, Outcome].”

(Quelle: Geoffrey Moore: “Crossing the Chasm”)

Um die möglichen sich daraus ergebenden Geschäftsmodell prototypisch darzustellen, zitiert Jens dann Cabbage & Zhang (leider finde ich dazu keine Quelle im Internet):

  • primäre Geschäftsmodelle mit einer Orientierung auf Trade, Product oder Service
  • sekundäre Geschäftsmodelle mit Brokerage, Subscription, Marketplace und Ecosystem

Das ist ein interessantes Modell, um sich mal generelle Gedanken um das Geschäftsmodell zu machen. Osterwalder unterstützt das Nachfragen dann durch ein weiteres Ranking, bei dem ich insbesondere eine kritische Betrachtung von

  • Wechselkosten
  • Wiederkehrende Umsätze
  • Einnahmen vs. Ausgaben

für mich interessant finde.

Mit dem Business Model Hypothesen testen

Und tatsächlich ist das Business Model natürlich nicht ein statischer Selbstzweck, sondern es verändert sich und soll sich auch verändern. Noch wichtiger ist aber, dass es Ausgangspunkt für die Formulierung von Hypothesen ist und auch für die Entscheidung, welches Hypothesen wahr sein müssen, damit das Geschäftsmodell funktionieren kann.

Die dazu passende Übung baut auf die Testkarten und Lernkarten von Strategyzer (also Osterwalder) auf.

Ein interessanter Blickwinkel also: Das Business Model wird zur Ableitung von Hypothesen genutzt, wir befinden uns hier also wieder inmitten eines Design-Thinking-Prozesses.

Quantifizierung des Business Models

Jens stellt hier das Konzept des KPI-Driver-Trees und der Nordstar-Metrik vor.

Beim KPI-Driver-Tree werden Messgrößen voneinander abgeleitet, also beispielsweiser eine konkrete Conversion aufgesplittet in die Conversions-Rate, die wiederum aufgesplittet wird über die Suche, den konkreten Kauf, die Aufnahme in den Warenkorb, die wiederum aufgesplittet etwa in die Ladedauer, die Verbleibzeit etc.

Die Nordstar-Metrik wiederum ist ein KPI, anhand derer ein Unternehmen konkret abliest, ob sich das Unternehmen in die richtige Richtung bewegt. Es ist sozusagen die eine zusammenfassende Metrik, basierend auf Umsatz, Kundenwert und Fortschritt. Bei AirBnB sind das zum Beispiel die gebuchte Übernachtungen.

Tatsächlich sehe ich bei KPI und der Nordstar-Metrik gleich mehrere Probleme in der Praxis:

  • Es können schlicht die falschen KPI und Metriken ausgewählt werden, die nur suggerieren, dass man Erfolg hat, aber man hat ihn in Wirklichkeit gar nicht.
  • Außerdem kann eine Fokussierung auf eine Nordstar-Metrik dazu führen, dass ein Unternehmen den Kundennutzen vergisst. Gutes Beispiel hierfür ist Facebook, bei denen die monatlich aktiven Nutzer die Zielgröße sind, weil sie versinnbildlichen, ob relevante Werbeeinnahmen generiert werden. Es kann dadurch zu sehr spammigen Aktionen kommen.
  • Und außerdem sind die KPI eher in der Lage, die Vergangenheit zu beurteilen, sie lassen aber keine Prognose über die Zukunft zu. Ein sehr interessanter Artikel dazu ist der Vortrag von Tim Herbig über die leading und lagging indicators.
  • Und last, but not least, sind sie vielleicht auch einfach nicht genug segmentiert. Einen sehr lesenswerten Artikel dazu hat Avinash Kaushik verfasst.

Ich werde vermutlich nie so recht ein Freund von KPI werden 😉

Meine persönliche Verwendung des Business Canvas

Interessante Einsichten also. Ich habe mich selbst im Rahmen von Design Thinking schon intensiv mit dem Business Modeling beschäftigt. Basis ist dafür das Business Model Canvas, welches von Alexander Osterwalder bereits 2005 entwickelt wurde – mit dem Sinn, wichtige Aspekte einer (Start-up-)Gründung strukturiert zu erfassen, ohne dabei die einem Start-up innewohnende Unsicherheit und Unwissenheit über die Zukunft auszublenden. Sprich: Prognosepläne über Umsätze fehlen hier völlig, weil sie bei einer neuen Idee niemand vorhersagen kann.

Im Rahmen meiner Masterthesis habe ich mich diesem Modell das erste Mal intensiv zugewandt; es dann aber immer weiter überarbeitet. Heute ist mein Lean Business Canvas anders strukturiert als das Original und mit der Jobs-to-be-Done-Methode als ein inspirierendes Element verknüpft. Ich finde, der Hauptreiz an vielen Methoden liegt darin, dass man sie auch adaptieren kann und sollte. Denn wie in vielen Bereichen der Computerwissenschaften sind auch die Business Canvas als Ursprungsmethoden mehr Denkmodelle, als empirisch belegte Tatsachen. Deshalb muss man sie auch nicht einfach glauben 😉

Wobei ich meine eigenen Adaptionen auch immer nkritisch beäuge: In einem zukünftigen Canvas werde ich das High-Level-Konzept löschen, vielleicht zugunsten eines Vision-Statements? Der Grund: Im Coaching stelle ich immer wieder fest, dass das High-Level-Konzept (“Ich bin das Amazon für xyz”) doch etwas abgedroschen wirkt. Auf der anderen Seite: Mal eben eine Vision und eine Mission hinzuzaubern, ist auch nicht so einfach – sondern vielleicht ist dazu ein ganz eigener Design-Thinking-Sprint erforderlich. Das gilt aber im Prinzip für alle Felder des Canvas gleichermaßen. Na ja, kommt Zeit kommt Rat…

Auch das Jobs-to-be-Done-Feld möchte ich noch um ein zentrales Statement ergänzen – wobei das auch Probleme verursacht, denn dieses geht sehr ins Detail, wohingegen das Lean Business Canvas eher generisch ist. Auf der anderen Seite: Ich sehe solche Canvas ohnehin eher als Inspiration, denn als fertiges Business Modell. Deshalb gestalte ich meine auch immer sehr konkret, also anhand tatsächlicher Einsichten aus Kundeninterviews und -beobachtungen. Sie sind ein guter Ausgangspunkt, um zum Beispiel eine Business-Präsentation oder einen Pitch vorzubereiten. Und sie sollen vor allem mir selbst helfen.

Wie seht Ihr das?

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